Alexas Moments Adventskalender! – Türchen 1

Der 1. Dezember ist für mich ein Magisches Datum. Der offizielle Startschuss und gleichzeitige Countdown für die Advents- und Weihnachtszeit.
Schon so lange habe ich mir vorgenommen, auch hier auf meinem Blog Weihnachten und die besinnliche Zeit zu feiern, doch leider ist es nie dazu gekommen.
Bis jetzt! Ab heute, bis zum 24. Dezember wird es im Adventskalender 24 kurze Geschichten geben. Viel Spaß beim Lesen!

Der Schnee fiel in weichen, dicken Flocken aus dem immer dunkler werdenden Himmel und hüllte die Welt um Melody in ihren weißen Mantel.
Es war schon lange her, dass es in diesem Teil Englands solch ein Bilderbuchschnee in der Weihnachtszeit gefallen war und so strömten die Menschen aus ihren Cottages.
Sie lachten, drehten sich um sich selbst, hielten ihre Gesichter in die Luft und jubelten, als die Flocken ihr Gesicht trafen.
Kinder riefen ihre Freunde und starteten lachend eine Schneeballschlacht und die älteren unter ihnen beobachteten sie mit glänzender Freude.
Melody ließ sich von der überschäumenden Stimmung der Menschen anstecken und blieb stehen. Auch sie sah den Kindern zu, bewunderte ihr Geschick wie sie mehrere Kugeln verschiedener Größen formten, um einen Schneemann zu bauen. Es fanden sich schnell die Utensilien die einen guten “Jack Frost” ausmachten: Kartoffeln für die Knöpfe und Augen, eine Karotte als Nase, Zweige für die Arme, einen alten zerbeulten Hut und zuletzt ein Schal in einem fröhlichen Gelb.
“Wie schön, nicht wahr?” murmelte eine alte Dame neben Melody und überrascht wandte diese sich um. Sie musste ihren Blick nach unten senken und sah in das runzelige Gesicht der alten Frau. Die blauen Augen strahlten jedoch hell und wach, auch wenn ihr krummer Rücken sie in eine gebeugte Haltung zwang.
“Ja, das ist es!” murmelte Melody und wollte sich wieder in Bewegung setzen. Sie hatte noch so viel zu erledigen. Die Geschenke für ihre Eltern, ihre Geschwister, Nichten und Neffen wollten besorgt werden, doch die Frau legte ihr die Hand mit überraschend festem Griff auf den Unterarm und hielt sie zurück. “Kommen Sie, helfen sie einer hilflosen alten Dame über die Straße!”
Melody unterdrückte nur mit Mühe ein Schnauben und musste lächeln. Wenn diese Frau etwas nicht war, dann hilflos. Doch sie tat ihr den Gefallen und hakte sie bei sich unter. Beide setzten sich langsam und vorsichtig in Bewegung.
“Wie heißen Sie?” Die Stimme klang leise, rau, so als würde die Frau nicht mehr sehr häufig Gespräche führen. “Melody. Und mit wem habe ich das Vergnügen?” Melodys Stimme erwärmte sich, während sie um die im Schnee tobenden Kinder einen weiten Bogen beschrieb. Sie blinzelte, denn der Schnee fiel nun stärker und sie konnte kaum mehr die andere Straßenseite erkennen.
Es schien, als wäre sie mit der Frau an ihrem Arm allein auf dieser Welt.
“Ich bin eine Lady meine Liebe. Lady Jane!” das Lachen von Lady Jane hallte kratzig und überhaupt nicht damenhaft durch die klirrend kalte Luft. “Ich würde ja knicksen, aber in Anbetracht der Wetterlage…” Melody blickte zu Jane und grinste Breit.
“Nicht so übermütig Sie junges Ding!” konterte Lady Jane und krallte sich in Melodys Arm, als diese über ein vereistes Stück Straße schlitterte.
“Entschuldigung” murmelte diese und konzentrierte sich darauf nicht hinzufallen. Endlich erreichten sie die andere Straßenseite. Aufatmend half Melody Lady Jane die Treppenstufen zu ihrem Haus hinauf. “Nun, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend Lady Jane!” wollte sich Melody verabschieden, doch sie hatte nicht mit dem eisernen Willen der Dame gerechnet.
“Aber nicht doch! Sie können jetzt nicht einfach gehen. Schauen Sie sich nur die Straße an, innerhalb der letzten 15 Minuten ist diese komplett zugeschneit. Sie werden kein Taxi mehr in die Innenstadt bekommen.
Ich sage Ihnen, das hier wird der eisigste und heftigste Schneesturm der letzten Jahre. Seien sie kein törichtes Ding und kommen Sie rein!”
Melody zögerte, doch Lady Jane hatte die Lage perfekt in Worte gefasst. Seufzend trat sie in die warme Vorhalle und direkt hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. “Dankeschön Parsley!” schnurrte Lady Jane und erst jetzt bemerkte Melody einen alten Mann an der Haustür. “My Lady!” formvollendet legte sich Parsley den durchnässten Mantel von Lady Jane über den einen Arm, während er Melody mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte.
“Oh, natürlich!” Melodys Wangen wurden warm, als sie sich hastig aus ihrem Mantel schälte und ihm diesen überreichte.
“Wir haben bis zum Morgen einen Gast, Parsley. Decken Sie im hinteren Salon!” die Stimme von Lady Jane hallte gebieterisch durch die Halle. “Was Sie nicht sagen!” erwiderte Parsley trocken und verschwand auf wundersame Weise in den Untiefen der Gänge, die von der Eingangshalle in das Innere des Hauses führten.
Melody folgte ihrer unfreiwilligen Gastgeberin in den besagten Salon und blickte sich auf dem Weg dorthin staunend um.
Es schien, als sei sie in eine andere Zeit gereist. Überall alte Seidentapeten mit floralen Mustern, dunkles, schimmerndes Holz, alte Gemälde die mit Sicherheit sehr wertvoll waren. So wie es aussah, war ihr erzwungenes Domizil, das Stadthaus einer Aristokratin. Melody erinnerte sich an die Geschichten, die ihre Großmutter ihr immer erzählte, wenn sie dort zu Besuch gewesen war. Erzählungen von Bällen, auf denen die Damen der gehobenen Gesellschaft in Kleidern mit breiten Röcken und raschelndem Stoff in den Armen von Herren, in edlen schwarzen Anzügen über die Tanzfläche schwebten.
“Sie wohnen hier allein Lady Jane?” Die Dame nickte und nippte gleichzeitig an ihrem Sektglas.
Während des Essens lauschte Melody eben jenen Geschichten, die die Lady selbst erlebt zu haben schien und lachte über die darin enthaltenen Anekdoten. Ob es ein Gentleman mit zwei linken Füßen gewesen war, der Lady Jane beim Tanzen immer auf die Zehenspitzen getreten war oder eine Debütantin, die Lady Jane in eine Besenkammer schubste, damit sie sich deb begehrtesten Junggesellen der Saison angeln konnte. “Aber da hatte die liebe Celeste sich geirrt. Mein lieber Antony wollte nur mich als Frau und so kam es dann ja auch!” Ihre Stimme klang herzzerreißend atemlos. Janes Wangen wiesen einen Hauch von Rosa auf und Melody konnte mehr als nur erahnen was für eine hübsche Frau die Lady früher gewesen war.
Das Lächeln erlosch, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. “Nun ist mein Tony schon zwei Jahre von mir gegangen und ich vermisse ihn noch immer jeden Tag!” Lady Jane verstummte und verfiel in tiefes Schweigen, das Melody nicht zu brechen wagte. Schließlich erhob Lady Jane sich abrupt und verließ den Raum.
Parsley erschien wenig später und begann den Tisch abzuräumen. Melody wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augenwinkeln, denn sie war sehr berührt von Lady Janes Erzählungen. Die alte Frau war einsam, so schien es Malody zumindest. “Der Verlust von Sir Antony hat My Lady sehr getroffen!” murmelte Parsley als er an ihr vorbei schritt. “Gibt es denn keine Kinder, die sich um sie kümmern?” platzte es aus Melody heraus. “Oh, es gibt zwei Söhne, beide wohnen in der Nähe von Oxford. Sie kommen häufig bei Lady Jane vorbei und versuchen sie zu überreden zu ihnen zu ziehen, dauerhaft. Aber sie möchte das nicht. Sie ist der Meinung, dass James und Arthur ihre Leben ohne die Last der gebrechlechen Mutter leben sollen und vergräbt sich statt dessen hier in diesem Haus!”
Melody bemerkte deutlich, dass Parsley mit Lady Janes Entschluss nicht einverstanden war. “Vielen Dank, Parsley! Ich werde mich nun auf mein Zimmer zurückziehen!” Der Butler nickte und verschwand lautlos.
Melody schritt die Treppe in den oberen Stock hinauf und freute sich über das knisternde und fröhlich flackernde Feuer in ihrem Kamin. Wohlige Wärme floss ihr über das Gesicht. Noch immer herrschte draußen dichtes Schneetreiben. Melody stand lange vor dem Fenster und starrte in die Winterlandschaft, bevor sie unter die Bettdecke schlüpfte. Die Vorhänge ließ sie geöffnet.
Am nächsten Morgen wurde Melody von hellem Licht geweckt. Sie eilte ans Fenster und traute ihren Augen nicht. Noch immer schneite es kräftig. Die Straße lag unter einer dicken Schneeschicht verborgen. Sie konnte sich nicht zurückhalten und öffnete das Fenster. Sofort traf sie ein Schwall eisig kalte Luft. Tief atmete Melody ein und freute sich wie ein Kind.
Zwei weitere Tage verbrachte Melody im Haus von Lady Jane, bevor die Straßenzüge wieder befahrbar und vor allem begehbar waren.

Von diesem Tage an verbrachte Melody viele Nachmittage bei Lady Jane. Die beiden tranken gemeinsam Tee und aßen Gebäck oder spazierten durch den nahegelegenen Park. Bald wurden Lady Jane und auch Melody freundlich begrüßt und es wurden Einladungen für Weihnachten und Silvester ausgesprochen.
Und so gaben sich Melody und Lady Jane gegenseitig das, was sie am dringensten benötigten: Die Gesellschaft des jeweils Anderen. Denn beide Frauen waren bis zu ihrem Aufeinandertreffen sehr einsam gewesen. Beide hatten eine liebende Familie um sich herum und doch hatte ihnen in ihrem Leben etwas gefehlt: eine tiefe Freundschaft.

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