„Nein“ mit diesem kleinen Wörtchen katapultierte Anna ihren „Fast-Ehemann“ in das Universum der Verzweiflung und sich selbst zurück auf den Singlemarkt. In der kleinen festlich geschmückten Kapelle herrschte plötzlich eine Stille, das man hätte eine Stecknadel fallen hören! „Ich kann das hier nicht“ Hilflos wedelte sie mit ihrem Brautstrauß in der Luft herum. Die Blütenblätter der cremefarbenen Rosen lösten sich und segelten leise zu Boden. Ich weiß es ist der schlechteste Zeitpunkt dir das zu sagen, aber ich werde dich nicht heiraten Carl! Das hier…“ erneut bemühte Anna ihren Blumenstrauß und fegte damit durch die Luft, …“ Das hier bin nicht ich! Tut mir leid“ Sie drückte ihrem bis dahin Verlobten, der wie versteinert vor ihr stand, die Blumen in die Hand, raffte den Rock ihres Kleides zusammen und eilte an der, wie in einem Gemälde erstarrten, Festtagsgemeinde zum Ausgang. Erst als sich die Tür mit einem lauten „Klonk“ hinter Anna schloss erhob sich im Innern der Kapelle ein Summen verschiedenster Töne.
Anna wusste, dass ihr nicht viel Zeit blieb und nestelte am Verschluss ihrer Clutch, fluchte als sich diese erst nach wertvollen Sekunden mit einem „Klick“ öffnete und durchsuchte ihre Tasche nach dem Autoschlüssel ihres Autos, dass Melanie netterweise (oder in weiser Voraussicht?) ganz in der Nähe der Kapelle abgestellt hatte.
Endlich hatte Anna den Schlüssel gefunden und drückte hastig auf die Fernbedienung, öffnete die Autotür und brach sich in der Eile einen Fingernagel ab. Sie ließ sich auf den Fahrersitz des schicken Fiats fallen und drückte das Gaspedal bis zum Boden durch. Mit quietschenden Reifen fuhr sie vom Parkplatz. Der Kies spritzte nach allen Seiten und endlich holperte sie auf die Straße. Im Rückspiegel sah sie die Hochzeitsgäste aus der Kapelle dränge, schnitt einen Opa in seinem Mercedes in dem sie ihn waghalsig überholte, auf die Gegenfahrbahn geriet und knapp vor ihm wieder einscherte. Wütendes Hupen begleitete Annas Fahrt durch den Stadtverkehr, aber die Zeit drängte. An einer roten Ampel wählte sie über die Blue & Me Einrichtung des Autos die erste Nummer, die ihr in den Sinn kam. „Mick“ keuchte Anna erleichtert als ihr bester Freund ein. „Wolltest du nicht gerade heiraten?“ in den Hörer brummte. „Ich hab die Hochzeit platzen lassen“ war ihr knapper Kommentar. „Das ist jetzt auch nicht wichtig, ich habe keine Zeit das alles zu erklären, ich brauche deine Hilfe…Wie schnell kannst du bei mir zu Hause sein?“ fragte sie atemlos während der kleine Fiat gefährlich nahe am Gegenverkehr um eine Kurve schlitterte.
„Hör mal, nicht wichtig? Aber lassen wir das, dafür ist später noch Zeit! Gib mir 10 Min“. Das schätzte Anna an Mick. Er machte nicht viele Worte, doch wenn man ihn brauchte war er da. „Okay, bis gleich dann….“ Sie bremste mit quietschenden Reifen vor einem dreistöckigen Wohnhaus ab, stürzte förmlich aus dem Auto und hastete die Treppe hinauf zur Wohnung in der sie und Carl bis eben ihr gemeinsames Leben verbringen wollten. Während Anna die Treppen hinauf lief,
– warum hatten sie sich damals nur für die Wohnung im Dachgeschoss entschieden?-
begann sie die vielen Knöpfe der Korsage, eigentlich die Aufgabe des Bräutigams in der Hochzeitsnacht, zu öffnen. Als der Stoff raschelnd zu Boden glitt seufzte sie erleichtert auf. Es war wie die Befreiung aus einem Alptraum.
Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr gar nicht bewusst gewesen wie sehr das Leben und die Beziehung mit Carl als Belastung empfunden hatte.
Anna schlüpfte in ihre zerschlissene Lieblingsjeans und einen Pullover und zerrte in Windeseile eine Reisetaschen unter dem Bett hervor. Wahllos warf sie alle Kleidungsstücke hinein die ihr in die Finger kamen!
– Weg nur Weg von hier –
Dieser Gedanke beherrschte ihr ganzes Denken, immer wieder summte dieser Satz in Ohrenbetäubender Lautstärke durch Annas Gedanken, als sie durch die Wohnung rannte um die wichtigsten Habseligkeiten einzusammeln. Magic, der Perserkater den sich Carl und Anna gemeinsam aus einem Wurf von Katzenbabys bei einem Züchter ausgesucht hatten, strich ihr dabei immer wieder um die Beine. Mit Tränen in den Augen strich sie dem grauen Kater über das Fell und sagte ihm Lebewohl. Endlich schloss sie mehr oder weniger den Reißverschluss der überfüllten Taschen und schleppte alles zur Haustür. Dabei stolperte sie über den traurigen Traum aus Weiß, der nun vor sich hin knitterte, ein Zeugnis zerstörter Träume.
Ein scharfer Stich des Bedauerns durchfuhr Anna und wehmütig zerrte sie die Trageriemen der Reisetaschen über die Schulter und schwankte die schmalen Stufen des Treppenhauses hinunter. Gerade als sie die Haustür öffnete hielt Mick mit quietschenden Reifen vor der Einfahrt des Hauses.
Anna bekam kurzzeitig keine Luft mehr, die Angst vor ihrem weitreichenden Entschluss drohte sie zu übermannen, doch jetzt war nicht die Zeit für solche Gedanken. Zum Nachdenken würde sie noch genügend Zeit haben. Keine Minute später ließ sie sich auf den Beifahrersitz des Escorts ihres besten Freundes fallen und atmete schnaufend aus.
„Runter“ kommandierte dieser plötzlich scharf. Anna duckte sich reflexartig, gerade noch rechtzeitig als ein schwarzer BMW, der Wagen ihres Ex-Verlobten, ihnen entgegen schoss….und schon waren sie um die Ecke. „Das war knapp“ japste Anna. „Von meinem Wagen kann ich mich wohl verabschieden!“ murmelte sie vor sich hin. Sie konnte sich lebhaft vorstellen wie Carl seine Wut an ihrem Auto auslassen würde. Er wusste, sie hing an ihrem Fiat 500. „Kann er nicht! Und selbst wenn, du hast eine Versicherung!“ entgegnete Mick und sah sie scharf von der Seite an.
„So und jetzt erzähl mir genau was passiert ist?“ Anna erzählte Mick von ihrer Flucht aus der Kapelle, während sie den Weg zu seiner Wohnung einschlugen. Micks Hände lagen ruhig auf dem Lenkrad und führten das Auto sicher durch den Verkehr. „Schade eigentlich, dass ich das verpasst habe. Man stelle sich mal vor! Du bringst es fertig und lässt DEN Carl Freischild vorm Altar stehen! Ich sehe schon die Schlagzeilen der Klatschpresse vor mir“ kicherte er wenig rücksichtsvoll. Anna warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. „Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass die Hochzeit ein Fehler ist und ich deshalb nicht auf das Fest komme, deshalb brauchst du mich gar nicht so anzukucken Anna! Du liebst Carl doch schon lange nicht mehr.“ war sein einziger Kommentar. Anna schwieg. Mick ebenfalls.
Tausend Gedanken gingen Mick durch den Kopf während er seinen Wagen durch den dichten Stadtverkehr in Richtung seiner Wohnung lenkte. Anna saß neben ihm, sie lehnte mit ihrem Kopf an der Kopflehne, ihr Blick schien ins leere zu gehen. Mick setzte an um etwas zu sagen, doch schloss er seinen Mund wieder. Ihm wollte keine Bemerkung einfallen die jetzt die richtige gewesen wäre, wie so oft in letzter Zeit! Anna und er waren schon viel zu lange befreundet und wussten wohl beide was im Kopf des anderen vorging, doch die vergangenen Monate hatten etwas zwischen ihnen verändert. Mick fasste einen Entschluss, wählte über die Freisprecheinrichtung seines Autos kurzentschlossen Anton´s Nummer.
“Hallo Anton! Hier ist Mick! Steht dein Angebot noch?” Anton schien am anderen Ende der Leitung nach Luft zu schnappen “Mick, sag jetzt bitte nicht, das du nun doch bereit bist den Job anzunehmen. Weisst du eigentlich, was ich mir anhören musste als ich vorgestern dein Nein dem Boss weitergegeben habe?” Mick hatte gewusst, dass Anton sauer sein würde, aber er wusste auch, dass seinem Gegenüber durch seine Zusage ein Stein vom Herzen fallen würde. Anna´s Augen richteten sich auf ihn und sahen ihn fragend an. “Spinn jetzt nicht rum Mann! Du weißt, das ich der Beste bin, wenn es darum geht Reuters die Spitzenposition von Bloomborg News zu sichern! Ruf mich an wenn alles geklärt ist, ich könnte sofort anfangen!“ Mick schnitt dem zeternden Anton mitten im Satz das Wort ab, in dem er die Verbindung kappte. Seine Aufmerksamkeit wandte sich nun Anna zu, die wie eine Puppe teilnahmslos beinahe im Autositz verschwand.
Dieser Schritt war gemacht, wie konnte er das alles Anna bloß erklären? Die weitaus spannendere Frage war: Würde sie ihn verstehen, seine Beweggründe für sein Handeln? Schnell lenkte Mick seinen Wagen in die Tiefgarage, steuerte zielsicher auf seinen Parkplatz zu und stellte den Motor ab. Die Stille dröhnte in seinen Ohren. “Wir sind da.” Murmelte er überflüssigerweise. Als keine Reaktion von Anna kam, stieg Mick langsam aus dem Wagen, hob ihre Reisetaschen aus dem Kofferraum und sie auf dem Garagenboden ab. Verdammt, was hat diese Frau in der kurzen Zeit alles in diese Reisetaschen gepackt….
Während Micks Gespräch mit einem Anton,
– wer war der Typ eigentlich? –
blickte Anna aus dem Fenster des Autos. Ihre Entscheidung Carl zu verlassen, war sehr spontan und überstürzt von ihr getroffen worden und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Noch konnte sie die Tragweite ihres Handelns nicht abschätzen, aber eines war sicher: Es gab kein Zurück mehr! Sie konnte nicht mehr in ihr bisheriges Leben zurück ohne selbst daran zugrunde zu gehen.
Mit einem Ohr verfolgte sie das seltsame Telefongespräch. Von welchem Job war da nur die Rede? Was hatte Mick bloß vor? Anna konnte sich keinen Reim aus den Wortfetzen machen. In diesem Moment fühlte sie wie fremd sie sich geworden waren. Schließlich hielten sie in der Tiefgarage die zu Micks Wohnhaus gehörte. Er hatte ihr die Entscheidung wo sie als nächstes hingehen würde abgenommen. Auch wenn sie es nicht gewöhnt das solche Entscheidungen von jemand anderem getroffen wurden, war sie Mick zutiefst dankbar. Sie war so müde! Gemeinsam hievten sie ihre Taschen in den winzigen Aufzug der die beiden direkt in die 3. Etage, auf der Micks Wohnung lag, beförderte. Nervös, so schien ihr, steckte Mick den Schlüssel in das Schloss der Wohnungstür und öffnete diese.
Ihr fiel auf das sie noch nie in seiner neuen Wohnung zu Gast gewesen war. Die letzten Monate hatten sie sich kaum gesehen, die Freischilds hatten sie zu sehr vereinnahmt und Mick war aus ihr völlig unverständlichen Gründen gegen die Hochzeit mit Carl gewesen, so dass die beiden sich, wenn sie sich getroffen hatten, meistens in einem kleinen Kaffee in der Innenstadt bei einem Tee und Kakao saßen und plauderten.
Überrascht schnappte Anna nach Luft als ihre Tasche durch den Flur schleppte und in einen riesigen offenen Wohnraum, der nahtlos in die hochmoderne, mit stylisch schwarzen Hochglanzfronten ausgestattete Küche überging. Moderne Formen, klare Linien und überall wechselten sich warmes beige mit kühlem schwarz und neutralem Weiß ab. Trotz der sparsamen Möblilierung hatte es Mick geschafft mit einigen Accessoires der Wohnung seinen Stempel aufzudrücken. Die Bücher in dem übervollen Regal standen kreuz und quer auf den Regalböden, Zeitungen lagen auf dem Couchtisch und teilten sich den Platz mit einigen Münzen, Kugelschreibern und gelben Notizzetteln. Anna wanderte staunend zu der riesigen Glasfront die ihr einen grandiosen Ausblick auf die nahegelegene Stadt gewährte und fühlte sich mit einem Mal sehr befangen. “Mick, ich glaube das ist keine so gute Idee wenn ich hier bleibe. Carl wird hier wahrscheinlich als erstes nach mir suchen. Mich würde nicht wundern wenn er in den nächsten Minuten vor der Tür stehen würde….” Wie auf das Stichwort hallte die Klingel im Dauersummen durch die Wohnung.
Hallo Alexa, ja die politischen Zeiten sind im Momente nicht gerade leicht. Auch ich bin noch unsicher, welcher Partei ich…